VENICE: Ein Blick hinter die Kulissen

Interview mit den Entwicklern

Eine einzigartige Kinooptik

VENICE ist für Sony in jeder Hinsicht eine ganz besondere Kamera: vom Namen über das komplett neue kompakte Gehäuse bis hin zum einzigartigen Kino-Look. Sony hat die digitale Filmproduktion von Anfang an geprägt – und arbeitete mit George Lucas zusammen, um seine digitale Vision für die Star Wars-Prequels zu verwirklichen. Zunächst wurden bereits vorhandene Kameras von Sony wie die HDC-950P angepasst, doch bald folgten spezielle Kameras wie die HDW-F900, die bei der Oscar-Verleihung überzeugte, und schließlich die Marke CineAlta selbst. Jede neue Kamerageneration bot dabei eine verbesserte Bildleistung und erweiterte Funktionen. Das Bemerkenswerte ist jedoch, dass die Kameras immer kleiner und einfacher wurden und sich in ihrer Optik an herkömmliche Filmkameras annäherten. VENICE bildet in puncto Technologie und Design den Höhepunkt dieser Entwicklung. Für dieses Interview sprachen wir mit: Product Planner Yutaka Okahashi, Project Leader Yuji Ooba, Designer Shinsaku Hirano und Koji Izumi, Mechanical Engineering.

Wann hat die Entwicklung der VENICE begonnen?

Okahashi: Erste Schritte erfolgten Anfang 2015, der offizielle Startschuss fiel dann einige Monate später. Die vollumfängliche Entwicklungsarbeit begann im April 2016.

Was war bei diesem Projekt die größte Herausforderung für Ihr Team?

Okahashi: VENICE unterscheidet sich komplett von früheren CineAlta-Modellen. Rückblickend kann ich deshalb sagen: Es gab nichts, was keine Herausforderung war! Am anspruchsvollsten war wahrscheinlich das mechanische Design der Kamera, da es völlig von der üblichen Designphilosophie von Sony abweicht. Bei einigen Produkten ist von Anfang an alles klar umrissen. Bei VENICE war das anders: von der Form des Gehäuses über den inneren Aufbau bis zu den Leistungsangaben wurde während der Entwicklung vieles verworfen und neu gedacht. Je tiefer wir in das Projekt eingetaucht sind, desto klarer wurde uns, was VENICE am Ende sein könnte. Unsere Techniker wollten diese Vision unbedingt umsetzen. Wenn wir der Meinung waren, dass sich eine Änderung des ursprünglichen Designs positiv auswirken könnte, haben wir sie umgesetzt.

Woher stammt der Name „VENICE“?

Okahashi: Was diese Kamera so besonders macht, ist als Farbwissenschaft bekannt. Aber es geht dabei um mehr als Wissenschaft, mehr als nur Algorithmen: Es geht um eine Optik, die eine emotionale Reaktion beim Betrachter hervorruft. Daher schien es nur folgerichtig, dieser Kamera einen richtigen Namen statt einer bloßen Produktnummer zu geben. VENICE lehnt sich an Venice Beach in Los Angeles an. Venice ist außerdem der englische Name für das italienische Venedig, das für Filme bekannt ist. Als wir uns Gedanken über einen geeigneten Namen machten, wurden viele Alternativen in Betracht gezogen. Aber dieser Name war einfach der beste.

Können Sie uns Hintergrundinformationen zum 6K-Vollformatsensor geben?

Ooba: Es gab viele, viele Faktoren, die wir bei der Auswahl des Sensors von VENICE berücksichtigt haben. Wir wollten nicht einfach nur das, was wir vorher hatten. Wir haben uns also auf das Wesentliche konzentriert und viele Gespräche mit Kunden geführt. Am Ende stand ein Produktkonzept, das eine außergewöhnliche Bildgebungsleistung für eine Vielzahl von Kinematografie-Anwendungen bieten würde, also nicht nur eine oder zwei. Der Vollformatsensor von VENICE kann praktisch jede beliebige Änderung des Bildseitenverhältnisses zwischen Vollformat und Super 35 umsetzen: sphärisches Breitbild, anamorphotisches Breitbild, 2,39:1, 1,85:1, 17:9. Das bedeutet, dass Sie mit jedem Standbild- oder Filmobjektiv Aufnahmen machen können. Das ist etwas Besonderes. Natürlich verwenden die α-Kameras von Sony auch 6K-Vollformatsensoren, sodass das Design ähnlich wirkt. Der Sensor von VENICE hat jedoch ein völlig neues 36 x 24 mm-Design, das speziell für Filmaufnahmen entwickelt wurde.

Wie werden sowohl PL- als auch E-Mount bei VENICE realisiert?

Izumi: Nachdem wir uns bei VENICE für einen Vollformatsensor entschieden hatten, war uns klar, dass die größtmögliche Auswahl an Objektiven unterstützt werden sollte. Es gab verschiedene Ansätze, aber von unseren Kunden kam das klare Signal, Einfachheit und Robustheit oberste Priorität einzuräumen. Um zu E-Mount zu wechseln, müssen Sie nur die 6 Befestigungsschrauben entfernen. Das ist alles. Sehr einfach und unkompliziert und jeder am Set kann das direkt ausführen. Das E-Mount selbst ist mit einem Sperrhebel für Stabilität und Sicherheit ausgestattet, orientiert sich also am FS7 II-Design.

Warum wurde der 8-stufige ND-Filter entwickelt?

Ooba: Wir werden oft gefragt, warum wir nicht den elektronisch verstellbaren ND-Filter aus den Modellen PXW-FS5 und -FS7 II verwendet haben. Wir haben diese Option in Betracht gezogen, aber aus Gesprächen mit unseren Kunden wussten wir, dass beim Drehen von Kinofilmen ND-Anpassungen schrittweise vorgenommen werden. Daher mussten wir uns für VENICE etwas Neues einfallen lassen.

Izumi: Um einen Glasfilter von 0,3 (1/2) bis 2,4 (1/256) zu erzeugen, waren zwei Filter erforderlich. Es war ganz schön kniffelig, eine Lösung für die Einfassung in ein 18-mm-Auflagemaß zu finden. Wir haben uns von Kollegen aus anderen Sony Geschäftsbereichen beraten lassen und konnten so auf verschiedene erweiterte Miniaturisierungstechnologien zurückgreifen, um dieses Problem zu lösen.

Was können Sie zur Entwicklung von VENICE unter dem Aspekt der Robustheit sagen?

Izumi: Wir haben jedes Detail berücksichtigt. So befinden sich Luftein- und -austritt bei den meisten Kameras an der Ober- und Unterseite. Aber wenn es beim Filmen regnet, dringt dadurch Wasser in die Kamera ein. Bei VENICE befindet sich der Lufteintritt auf der linken und der Luftaustritt auf der rechten Seite. Durch die Trennung der Luftzufuhr von den elektronischen Komponenten wird der Betrieb der Kamera nicht beeinträchtigt, selbst wenn Wasser in den Luftein- und -austritt eindringt. Soweit zur Theorie. Wir haben aber auch Tests mit VENICE unter extremen Bedingungen durchgeführt und festgestellt, dass es selbst dann keine Probleme mit dem Betrieb gab.

Wir haben VENICE auch mit Hinblick auf Wartungsmöglichkeiten am Set entwickelt. Wir wussten, dass es bei Aufnahmen unter schwierigen Bedingungen schnell passiert, dass die Lüfter verschmutzen. Deshalb lassen sich diese nun ganz leicht austauschen. Sobald das Sensormodul entfernt wurde, kann der Lüfter einfach wie eine Schublade herausgezogen werden. Wenn der Kunde bereit ist, die entsprechende Verantwortung zu übernehmen, kann das in Minutenschnelle komplett erledigt werden.

Hirano: Wir haben auch beschlossen, diese innere Stabilität im äußeren Design von VENICE widerzuspiegeln: Die auffallende unebene Struktur auf dem Magnesiumgehäuse hat eine neue zweckmäßige graue Farbgebung. VENICE sollte offensichtliche Robustheit ausstrahlen. Die Kamera ist zwar klein, aber stabil genug für nahezu alle gängigen Kinematografie-Anwendungen.

Aus Gesprächen mit unseren Kunden wussten wir, dass beim Drehen von Kinofilmen ND-Anpassungen schrittweise vorgenommen werden. Daher mussten wir für VENICE etwas Neues entwickeln.

Yuji Ooba
Project Leader

Wie wichtig war die Benutzerfreundlichkeit?

Okahashi: Am Filmset gilt: Zeit ist Geld. Eine hervorragende Bildqualität ist kaum etwas wert, wenn die Einrichtungszeit zu lang ist. Daher lag für das Team ein großer Fokus auf diesem Aspekt. Wir haben unsere Kunden gefragt, worauf sie bei der Arbeit Wert legen. Sie konnten sich auch zu Tastenanzahl, Anordnung und Menüführung äußern. Wir haben die Anzahl der externen Tasten auf 14 reduziert, um die Bedienung der Kamera intuitiver zu gestalten. Wir haben viel Zeit darauf aufgewendet, die Bedienelemente so zu justieren, dass sie die Bedürfnisse der Anwender erfüllen. Alle notwendigen Funktionen befinden sich an der richtigen Stelle und es gibt keine unnötigen Funktionen, die die intuitive Benutzung beeinträchtigen. So sind wir auch bei der Menüsteuerung vorgegangen. Während des normalen Einsatzes steht eine einfache Oberfläche zur Verfügung, die einen schnellen Zugriff auf alle wichtigen Funktionen ermöglicht. Um komplexere Anpassungen vorzunehmen, kann zudem auf eine Ebene mit detaillierten Steuerelementen zugegriffen werden. Das VENICE-Team hat einen externen Experten für Benutzeroberflächen hinzugezogen, um einen gänzlich neuen Input zu erhalten. Er hat viel Zeit mit den Kunden verbracht, um die Anforderungen hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit zu verstehen. Häufig waren das persönliche Treffen im Rahmen von Kinematografie-Veranstaltungen. Ein Grund mehr, den Stand von Sony zu besuchen, um mehr über unsere Kameras der nächsten Generation zu erfahren!

Ooba: Diese Kamera wird häufig mit Kameraassistenten verwendet. Daher haben wir uns darum bemüht, deren Bedürfnisse nach einer Hauptanzeige auf der Seite zu erfüllen, um die Bedienbarkeit zu verbessern.

Izumi: Ein schönes Beispiel dafür, wie sich das Design in der Konstruktionsphase von VENICE weiterentwickelt hat, ist, dass wir uns immer sofort Gedanken darüber gemacht haben, was man mit Platz, der oben an der Kamera entstanden ist, am sinnvollsten anfangen könnte. Wir haben beschlossen, oben am Gehäuse eine Gleitschiene zu befestigen. Dies ermöglicht eine unabhängige Bewegung des Griffs und des Suchers. Der Sucher kann auch um 90° gedreht werden. Das ist sehr nützlich für Orte, an denen es schwierig ist, durch den Sucher zu sehen, zum Beispiel, wenn Sie sich an einer Wand oder in einem Auto befinden. Wir haben auch die Position des Terminals überdacht, damit die Kabel unten nicht stören. Dadurch wird ein reibungsloser Betrieb ermöglicht und ein kompaktes Gefühl beim Betrieb der Kamera vermittelt, selbst wenn viele Kabel eingesetzt werden.

Wir haben die Eigenschaften des optischen Tiefpassfilters und des Farbausdrucks geändert, um diesen Kino-Look als Standard zu erzielen.

Yuji Ooba
Project Leader

Was ist an der Bildqualität von VENICE anders?

Ooba: Das optische System der vorherigen CineAlta-Kameras liefert gestochen scharfe, klare Bilder. Dieser Ansatz ist beliebt und wird von vielen Benutzer geschätzt. Aber einige Anwender bevorzugen auch Bilder mit einem weichen Ton, der ihrer Meinung nach ein authentischeres Kinoerlebnis liefert. Frühere Kameras wie die PMW-F55 konnten entsprechend konfiguriert werden. Bei VENICE haben wir die Merkmale des optischen Tiefpassfilters und des Farbausdrucks aber so geändert, dass diese Kino-Optik als Standard erzielt wird. Das war eines der Hauptziele in Bezug auf die Bilderzeugung.

Ooba: Der Vollformatsensor von VENICE kann S35-Bilder bei nahezu gleicher Größe und Auflösung wie bei der PMW-F55 herausschneiden, aber die elektronische Speicherkapazität ist um ein Vielfaches größer. Das Ergebnis: ein natürlicheres Rauschen und ein größerer Spielraum.

Wie war es, die mitunter subjektive Farbwissenschaft mit der Sensorentwicklung unter einen Hut zu bringen?

Ooba: Wir haben die Sensorfarbe angepasst, um eine im Vergleich zur F65/PMW-F55 optimierte Farbwiedergabe zu erzielen. Die Tiefenschärfe wird durch Rauschen beeinflusst, sodass ein besseres Rauschen zur Optimierung der Farbwissenschaft beiträgt. Ein wichtiger Lernprozess war, wie Kameraleute die Beleuchtung am Set verwenden – eine außergewöhnliche Empfindlichkeit ist eine tolle Funktion bei einer Fotokamera, kommt bei VENICE jedoch deutlich weniger zum Tragen. Tatsächlich kann es zu erheblichen Problemen führen, wenn Sie Streulicht von einem Smartphone abnehmen. Daher haben wir den Sensor entsprechend angepasst. Als Monitoranzeige dient s709 mit emulierter Filmfarbe zusätzlich zu unserer vorhandenen realistischen Farbwiedergabe.

Was planen Sie künftig für VENICE?

Okahashi: Zum Zeitpunkt der Markteinführung haben wir eine Firmware-Roadmap mit einem klaren Zeitplan festgelegt. Wir haben uns seit dem Produktstart außerdem intensiv mit dem Feedback unserer Kunden beschäftigt, um Funktionen nach Möglichkeit zu verbessern. Wir wussten von der PMW-F55 – derzeit auf Firmware-Version 9 –, dass die Möglichkeit zum Hinzufügen von Funktionen wichtig ist. VENICE ist so konzipiert, dass das möglich ist. Darüber hinaus haben wir gerade die Unterstützung für High Frame Rate angekündigt. Mit der VENICE-Plattform möchten wir schrittweise neue Funktionen hinzufügen.

Worauf sind Sie bei VENICE besonders stolz?

Okahashi: Auf die Bildqualität natürlich. Insbesondere die 4K-Bildgröße, die von einem gescannten Vollbildsignal angepasst wurde, hat eine wirklich beeindruckende Bildqualität. Außerdem möchte ich noch erwähnen, dass ein großer Teil der Arbeit in die Entwicklung einer besseren Menüoberfläche geflossen ist. Es gibt hier immer noch Spielraum für Verbesserungen, aber eine überragende Bildleistung, gemeinsam mit einer intuitiven Bedienung, waren unsere vorrangigen Designziele.

Worauf freuen Sie sich in Zukunft bei VENICE?

Okahashi: Das Team freut sich am meisten darauf, Spielfilme zu sehen, die mit VENICE gedreht wurden. Jede neue Produktion ist für uns gerade extrem aufregend.