Szenendekonstruktion mit Birgit „Bebe“ Dierken
In dieser Dekonstruktion nimmt uns die in London ansässige Kamerafrau Birgit „Bebe“ Dierken mit hinter die Kulissen der Paramount+ TV-Serie Sexy Beast. Zuvor hatte Bebe an Spielfilmen wie V for Vendetta und World War Z gearbeitet, bevor sie als Kamerafrau an prestigeträchtigen Fernsehprojekten wie Bridgerton und Sexy Beast mitwirkte. Diese Serie erzählt die Geschichte der Herkunft von Gal und Don, die in dem gleichnamigen Film von Jonathan Glazier aus dem Jahr 2000 zu sehen sind. Die Serie führt uns zurück ins London der 1990er Jahre und erzählt die Geschichte der Diebe und besten Freunde Gal Dove (James McArdle) und Don Logan (Emun Elliot). Als Gal eine romantische Beziehung mit dem Erotikfilmstar DeeDee Harrison (Sarah Greene) beginnt, wird alles noch komplizierter.
Szenen-Dekonstruktion: wichtige Erkenntnisse
- Die Verwendung von Beleuchtungskörpern, die von einem Tablet oder Telefon aus gesteuert werden können, ermöglicht eine schnelle und einfache Feinabstimmung der Beleuchtung, insbesondere bei Szenen, bei denen die Kamera an viele verschiedene Positionen bewegt werden kann.
- Unterschiedliche Farbpaletten können verwendet werden, um verschiedene Zeitabschnitte innerhalb der Handlung oder verschiedene Personen und Orte voneinander zu trennen.
- Dioptrien, d. h. zusätzliche Linsen, können verwendet werden, um die Nahfokussierung eines Objektivs zu verbessern, und geteilte Dioptrien können verwendet werden, um zwei unterschiedliche Entfernungen gleichzeitig scharf zu stellen.
- Mit dem VENICE-Erweiterungssystem von Sony kann die Sensoreinheit der Kamera vom Hauptgehäuse getrennt werden. Die leichte und kompakte Bauweise der Sensoreinheit ermöglicht den handgeführten Einsatz für sehr mobile kreative Aufnahmen.
Einleitung
Die Produzenten achteten darauf, dass der Look der Serie sich stets deutlich vom Originalfilm unterschied.
„Wir waren uns einig, dass wir nicht versuchen wollen, mit dem Original zu konkurrieren, sondern unsere eigene Ausdrucksweise zu finden“, erklärt Bebe. „Es sollte brutal sein, es sollte schön sein und das Leben von Gal und Don zeigen, bevor sie sich viele Jahre später in Spanien wiedersehen“.
Um der Serie einen einzigartigen Look zu verleihen, entschied sich Bebe dafür, für jede Figur oder jeden Ort eine andere Farbpalette zu verwenden. Für die Szenen mit Gals Eltern in den 1960er Jahren kommt eine ausgeprägte Farbpalette mit vielen Braun- und Beigetönen zum Einsatz.
Bei Marie ist die Palette der Nachtclubs mit kräftigen Blautönen und Schwarzlichteffekten noch lebhafter.
Für den Barbesitzer und Gangster Teddy Bass (Ian McShane) wird eine Menge Rot eingesetzt, das für Gefahr, Blut, Aggression und Liebe steht. Bebe kombinierte die VENICE-Kamera von Sony mit Atlas Orion Anamorphic-Objektiven, wobei die Unregelmäßigkeiten in den Objektiven dazu beitragen, einen filmähnlichen Look zu erzeugen.
Die Spielhallen-Szene
In dieser Szene erledigen Gal und Don ihren ersten gemeinsamen Auftrag, so dass wir zum ersten Mal sehen, wozu sie fähig sind und wie brutal sie dabei vorgehen. Um die Kamera ins Geschehen zu bringen, verwendete Bebe das VENICE-Erweiterungssystem, mit dem der Sensorblock der Kamera vom Hauptgehäuse der Kamera getrennt werden kann. Dadurch entsteht eine kleine und kompakte Einheit, die der/die Kameramann/-frau vor der Brust halten und sie nach links und rechts, sowie nach oben und unten bewegen kann. Dies ermöglicht mehr Freiheit für eine größere Bandbreite von Aufnahmen als mit einer herkömmlichen Schulterkamera.
Für diese sehr dynamischen Szene hat Bebe nicht jede einzelne Kamerabewegung bis ins kleinste Detail geplant und geprobt, sondern sich für einen eher freihändigen Ansatz entschieden, bei dem die Kamera dem Geschehen folgt, während es sich abspielt. Wenn sich die Handlung verlangsamt, werden auch die Kamerabewegungen langsamer und die Kamera wird ruhiger gehalten. Wenn die Handlung rasanter wird, nimmt auch die Kamerabewegung zu. Die Bewegung der Kamera passt sich der Intensität des Geschehens vor der Kamera an.
Die Szene beginnt in einem dunklen Flur, der mit praktischen kuppelförmigen Leuchten an den Wänden nur schwach beleuchtet ist. Während sich die Schauspieler den Korridor entlang bewegen, erzeugen die Lichter einen Gegenlichteffekt mit den Schauspielern als Silhouette, bis sie am nächsten Licht vorbeikommen und von der Seite beleuchtet werden, wobei diese wechselnde Beleuchtung die Dramatik noch verstärkt.
Das Geschehen verlagert sich dann in einen größeren Raum, wobei das Fülllicht für diesen Raum von oben kommt, zusammen mit mehreren praktischen Leuchten, die mit ferngesteuerten LED-Leuchten ausgestattet sind. Die Leuchten waren alle mit einem Tablet-Computer und einer Dimmer-Konsole verbunden, so dass sie ferngesteuert werden konnten. Die Szene wurde vorbeleuchtet, bevor die Kamera am Set ankam. Als dann die Kameras eintrafen, ließ der Bediener der Dimmer-Konsole Bebe mithilfe der Tablet-Fernbedienung schnell die Intensität und Farbe der Leuchten anpassen.
Für die Teile der Szene, die in einer Spielhalle spielen, wollte Bebe eine dunkle und schäbige Atmosphäre schaffen. Insgesamt ist nicht viel Licht vorhanden und das wenige Licht kommt von den Spielautomaten selbst. Um dies zu verbessern, installierte einer der Elektriker der Produktion mehrere Wochen lang zusätzliche LEDs im Inneren der Maschinen, um die ursprüngliche Beleuchtung zu ersetzen und zu verstärken.
Szene auf Teddys Party
In dieser Szene gehen Don und Gal auf eine Party, um den Gangsterboss Teddy zu treffen und mit all den coolen Leuten abzuhängen. Die Szene musste übertrieben und ein wenig vulgär sein. Einer der Räume war leuchtend rot gestrichen, für die übrigen Räume wurden dünne rote Plastikplanen an einem Gerüst aufgehängt und ein Großteil davon von hinten beleuchtet. Ein großer Teil der Szene ist durch den Ort und das Bühnenbild motiviert. Im Hauptraum steht ein rotes Sofa, das symmetrisch auf beiden Seiten von roten Tischlampen und roten Vorhängen eingerahmt wird. Die Tischlampen waren die Hauptlichtquelle für Gal und Don.
Teddy wurde mit einem S30-Panel beleuchtet, das mit einer Chimera und einem Eierkarton ausgestattet war, um einen dramatischen ¾-Kontrast zu erzeugen, bei dem eine Seite seines Gesichts beleuchtet ist und die andere im Schatten liegt.
Bebe wusste, dass die Verwendung von so viel kräftigem Rot eine Herausforderung sein würde – „Es soll nicht aussehen wie ein Ketchupmassaker, wo jeder ein superrotes Gesicht hat“ – also wurde etwas neutrales Licht hinzugefügt, einschließlich Scheinwerfern und einer großen Discokugel. Aber das Gesamtbild blieb rot, und die Gesichter der Figuren durften auch rot sein, aber nicht übermäßig.
Diese Kamera hat eine gewisse Weichheit, ich weiß nicht warum, ich bin nicht technisch versiert genug, um das zu verstehen, aber es gibt etwas an den Grüntönen der Kamera, das ich wirklich mag … Ich finde, dass sie Hautfarben sehr gut einfängt; da muss man sehr wenig korrigieren.
Birgit “Bebe” Dierken
Es gibt eine Einstellung, in der wir DeeDee und Gal auf dem Sofa sitzen sehen, während im Hintergrund die Party weitergeht. Für diese Aufnahme fügte Bebe dem anamorphotischen Atlas-Objektiv einen volle Diopter hinzu, um aus größerer Nähe Fokussieren zu können. Dadurch konnte die Kamera näher an die Figuren herangeführt werden, während der Hintergrund stark unscharf wurde – dank der geringen Tiefenschärfe, die mit dem VENICE Vollformatsensor erzielt werden kann. Diese Herangehensweise verstärkte das Gefühl der Trennung zwischen ihnen und den anderen Partygästen.
Bebe ist ein großer Fan von Dioptern. Es gibt eine Szene in der roten Bar, als ein Typ mit einem Motorrad hereinkommt und eine Waffe auf Teddy Bass richtet. Bei der Aufnahme über die Schulter direkt hinter dem Motorradfahrer sind sowohl sein Helm als auch der weiter entfernte Teddy scharf, während alles andere in der Aufnahme unscharf ist. Um diesen Effekt zu erzielen, verwendete Bebe ein geteiltes Diopter, um den Fokusabstand auf einer Seite der Aufnahme zu verändern.
Szene „Warten auf DeeDee“
Es ist Nacht. Gal steht vor DeeDees Haus und wartet darauf, dass sie nach Hause kommt. Für die Aufnahme von DeeDee, die auf das Haus zugeht, wurde die Kamera auf eine Steadicam montiert, um eine flüssige Kamerafahrt zu ermöglichen.
Aber für die Nahaufnahmen, bei denen sich das Paar trifft und küsst, schaltete Bebe die Kamera auf Handbetrieb um. Bebe ist der Meinung, dass die subtilen Bewegungen während einer Handaufnahme die Atmosphäre intimer machen und das der Zuschauer so eine emotionale Verbindung zu den Schauspielern aufbauen kann.
In anderen Teilen der Szene gibt es Straßenlaternen. Es handelt sich um echte Natriumdampflampen, die jedoch zu hell waren. Um die Helligkeit zu verringern, wurden ND-Gele eingefüllt und das Glas der Lampen mattiert. Die Hauptlichtquelle war ein großes, weiches Licht, um das Mondlicht zu imitieren, und zusätzlich wurden in einigen Bäumen große LED-Röhren angebracht. Für die Nachtaufnahmen war eine Menge Aufbauarbeit erforderlich. Um den Kontrast zu erhöhen und einige Reflexionen hinzuzufügen, wurden die Straßen und der Bürgersteig mit Wasser benetzt.
In den Nachtszenen verwendete Bebe viel Farbe. Im Gegensatz dazu waren die Farben in den Tagesszenen gedämpfter; die Sonne ist erst zu sehen, wenn sich die Handlung nach Spanien verlagert. Alle Tagesaufnahmen aus dem Vereinigten Königreich sind bedeckt und trist und sehen langweilig aus. Bebe hat sich dafür entschieden, um den Eindruck zu erwecken, dass das nächtliche Verbrecherleben der Figuren attraktiv und glamourös und die Romantik aufregend ist. Die VENICE-Kamera hat zwei Basis-ISO-Werte: 500 ISO und 2500 ISO. Für die Nachtszenen verwendete Bebe den oberen Basis-ISO-Wert von 2500.
Während der gesamten Serie nutzte Bebe die erhöhte Lichtempfindlichkeit der VENICE-Kamera, indem sie nur praktische Lichtquellen verwendete oder das natürliche Licht nutzte, das durch ein Fenster einfiel. So konnte sie die Kamera sehr flexibel bewegen und dem Geschehen folgen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass Beleuchtungskörper in die Aufnahmen geraten könnten, und sie konnte eine weichere, natürlichere Beleuchtung verwenden.
Ich habe ein paar Mal mit der Kamera gearbeitet, ich liebe sie wirklich. Sie ist großartig. Jeder weiß, dass der 2500 ISO-Wert ein entscheidender Faktor ist, es ist unglaublich hilfreich.
Birgit “Bebe” Dierken