Szenendekonstruktion mit Martin Ruhe, ASC
Der in Berlin ansässige Martin Ruhe ASC ist ein preisgekrönter Kameramann, der bereits Hunderte von Musikvideos und Werbespots auf seiner Erfolgsliste hat. Zu seinen Spielfilmen gehören Control (2007), der die Lebensgeschichte von Ian Curtis, dem Leadsänger von Joy Division, erzäht, The American (2010), ein Thriller mit George Clooney in der Hauptrolle sowie Amerikanisches Idyll (2016), der auf dem Roman von Philip Roth basiert. Martin hat auch an gefeierten TV-Serien wie Counterpart (2017-18) und an allen sechs Folgen von Catch-22 (2019) mitgearbeitet.
In The Boys in the Boat (2023) arbeitet er wieder mit George Clooney zusammen, der als Regisseur eines auf wahren Begebenheiten basierenden Bestsellers von Daniel James Brown fungiert. Der Film zeigt eine amerikanische Rudermannschaft, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg als Außenseiter an den Olympischen Spielen 1936 in Deutschland teilnimmt.
Martin wollte unbedingt den Eindruck erzielen, wie er sich bei Aufnahmen mit einem großen Sensor einstellt. Nach einigen Tests entschied er sich für die Sony VENICE mit anamorphotischen ARRI Alpha-Objektiven. Einer der Hauptvorteile der VENICE Kamera besteht darin, dass sie sowohl als Vollformatkamera als auch als Super 35 mm-Kamera verwendet werden kann. Mit der VENICE können Sie 6K in FF oder 4K in Super 35 aufnehmen (die VENICE 2 mit dem 8K-Sensor kann bis zu 8,6K im Vollformat und 5,8K in Super 35 aufnehmen). Dies vergrößert die Auswahl der verwendbaren Objektive beträchtlich, was besonders nützlich für viele der Szenen auf dem Wasser war, bei denen der Regisseur Zoomobjektive verwenden wollte.
Bitte beachten Sie, dass das Verlängerungssystem CBK-3610XS von Sony für die VENICE in diesem Video mit dem inoffiziellen Spitznamen „Rialto“ bezeichnet wird. Wir bitten bei etwaigen Unklarheiten um Entschuldigung.
Szenen-Dekonstruktion: wichtige Erkenntnisse
- Selbst wenn dies einen natürlicheren Eindruck erzeugen kann, muss man bei Außenaufnahmen mit wechselhaftem Wetter die Veränderungen der Lichtverhältnisse manchmal einfach akzeptieren.
- Ein detailliertes Storyboard und die Unterteilung einer Szene in kleinere Abschnitte können die Aufnahme sehr komplexer Szenen erleichtern.
Die VENICE war die flexibelste Lösung, die für uns zur Auswahl stand. Ich konnte das VENICE-Verlängerungssystem verwenden, die Neutral Density ändern und wusste, dass es sehr viel Arbeit auf dem Wasser geben würde. Deshalb wollte ich das flexibelste System mit der höchsten Auflösung und das war die Sony VENICE.
Martin Ruhe, ASC
Szene mit der Bewerbung um die Plätze im Boot
In dieser Szene, die sich vor dem Bootshaus des Ruderclubs abspielt, sehen wir eine große Gruppe junger Männer, die alle darauf brennen, einen der 8 Plätze im Ruderteam zu bekommen. Obwohl Rudern als Sport zu dieser Zeit unglaublich populär war, hatte der Held des Films keine wirkliche Ahnung, worauf er sich einließ.
Das Set mit dem Bootshaus wurde in Swindon in Großbritannien neben einem künstlichen See aufgebaut. Eine der Herausforderungen bei jeder Außenaufnahme sind die wechselnden Lichtverhältnisse. An dem Morgen, an dem diese Szene entstand, wechselte die Bewölkung häufig. Martin nutzte das natürliche, meist weiche Licht, ergänzte aber 4×4-Rahmen mit ungebleichtem weißem Stoff, um das Licht zu verstärken und zu formen und so die Gesichter der Schauspieler durch Kontrast zu betonen. Martin war der Meinung, dass das Licht sich zwar von Einstellung zu Einstellung ein wenig veränderte, dass dies aber die Szene nicht verschlechterte, da der Schwerpunkt auf den Gesichtern der Schauspieler lag und das wechselnde Licht sehr natürlich wirkte.
Martin sagt, dass die Zusammenarbeit mit Clooney „fast familiär war. Er ist ein sehr vertrauensvoller, visueller Regisseur, der gerne mit der Energie des Sets mitgeht und es liebt, schnell weiter zu kommen“. Das bedeutete, dass ich versuchen musste, die Beleuchtung einfach zu halten. Bei diesem Film hätten aufwändige Außenbeleuchtungsanlagen oder Abdunkler für mehr Kontrast eine Aufnahme zwar etwas schöner machen, das Tempo der Dreharbeiten jedoch verlangsamt. Wir mussten aber in sehr kurzer Zeit eine Menge Material produzieren und so hielt Martin die Beleuchtung so einfach wie möglich.
Szene mit dem Poughkeepsie-Rennen
Dies war eine sehr komplexe Szene, die viele verschiedene Elemente enthielt. Da waren 7 Bootsmannschaften, die auf dem Wasser um die Wette ruderten, die Zuschauer an den Ufern und ein Zug mit offener Seite für die Zuschauer, die den Rennruderern folgten. Um all die verschiedenen Elemente zu filmen, wurden Kameras an Land, Kameraboote und Drohnen eingesetzt. Die Aufnahmen des Zuges wurden nicht am Hauptdrehort gefilmt. Die Storyboards für diese sehr komplexe Szene füllten etliche Seiten.
Es waren 3 Kameraboote im Einsatz: ein Katamaran mit einem kleinen Kameraausleger; ein größeres und stärkeres Boot mit einem Super Technocrane von 10 Metern Länge und schließlich ein kleineres Boot mit einer Kamera an der Vorderseite auf einem Stativ oder auf einem Ronin 2-Gimbal.
Um diese komplexe Szene zu filmen, teilte Martin das Rennen in Abschnitte auf, sodass ein Teil des Rennens gedreht werden konnte, bevor es mit dem nächsten weiterging. In den ersten anderthalb Tagen wurden der erste Teil der Szene und der Start des Rennens gedreht. Eine weitere Herausforderungen bestand darin, dass Ruderer nicht 8 Stunden lang ununterbrochen rudern können. Normalerweise trainieren sie für ein einziges Rennen von 5 oder 6 Minuten Dauern. Es mussten im Zeitplan also Ruhephasen berücksichtigt werden.
Am Ufer kam ein Verfolgungsfahrzeug zum Einsatz, das hinter den Zuschauern entlang fahren und die Boote verfolgen sollte. Für den Zuschauerzug wurde ein Exemplar des Zuges auf ein paar Lastwagen aufgebaut. Nach Einbau eines Mechanismus, der die Lastwagen wackeln ließ, wurden sowohl statische als auch bewegte Aufnahmen gemacht, einige mit Bluescreen hinter dem Zug und andere nur mit dem Himmel dahinter.
Viele der Bäume und die Landschaft im Hintergrund dieser Szene wurden in der Postproduktion hinzugefügt.
Für die Nahaufnahmen setzte sich der Steuermann (die Person, die das Boot lenkt) auf einen Kasten, der ganz vorne am Katamaran mit der Kamera befestigt war, während Martin die VENICE-Verlängerung mit der Hand führte. Auf diese Weise konnte er nah an ihn herankommen, aber auch schnell vom Steuermann zu den anderen Booten schwenken, wenn sie vorbeikamen. Als diese Aufnahmen fertig waren, hatte der Steuermann sehr nasse Füße, aber alle waren der Meinung, dass dies wirklich die beste Art war, um die ganze Energie und Anspannung darzustellen.
Szene: „Ich will meinen Platz zurück“
Der Drehort dieser Szene stellte Martin vor einige große Herausforderungen. An einem Ende des Raumes befand sich ein riesiges, hoch gelegenes Fenster, dessen Licht nicht verändert werden konnte, da es sich oberhalb von einem unzugänglichen Innenhof befand.
Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein weiteres Fenster, aber Martin konnte vor diesem Fenster Leuchten anbringen, um die Heligkeit zu steuern. Wenn die Kamera auf Joe gerichtet ist, ist er gut ausgeleuchtet, denn das Gegenlicht kommt von einigen 9K-Scheinwerfern auf der Außenseite des kleineren Fensters. Wenn die Kamera auf Callum gerichtet ist, ist die Hauptlichtquelle das große unveränderliche Fenster direkt hinter ihm. So tritt das Sonnenlicht durch dieses Fenster ein und wieder aus und beeinflusst die Lichtverhältnisse. Martin fügte links und rechts vom Bild Abdunkler für mehr Kontrast hinzu und benutzte dann eine Rosco DMG-Leuchte, um den Kontrast im Gesicht zu verstärken.
Im Film sichtbare Lichtquellen sind Martin sehr wichtig. Er verwendet sie gerne als Ausgangspunkt für seine Beleuchtung, vor allem in alten Gebäuden mit Holzvertäfelungen, die das Licht von sichtbaren Lichtquellen auf eine oft warme und schöne Weise reflektieren. Für diese Szene gab es eine Reihe von Wandleuchten, die mit warmen Glühbirnen bestückt wurden, um einen Kontrast zum kühleren Tageslicht zu schaffen, das durch die Fenster fiel. Martin sagt, dass er das Schlichte mag, vor allem, wenn es natürlich aussieht und nicht stark ausgeleuchtet wirkt.
Auch wenn das große Fenster überbelichtet ist und beschnitten wird, ist Martin der Überzeugung, dass die Aufnahme dennoch gut aussieht. Er führt dies auf die Kombination aus der malerischen Qualität der anamorphotischen ARRI Alpha-Objektive, der geringen Schärfentiefe und der Art und Weise zurück, wie sich der VENICE-Sensor bei Überbelichtung verhält.
Das Schöne am Chip des Sony ist, dass er das einfach umsetzen und aufnehmen kann. Eine der schönen Sachen, die wir entdeckt haben, war, dass der ganze Film sehr oft diese malerische Qualität hat.
Martin Ruhe, ASC